Donnerstag, 9. Februar 2012

Patagonien I - Trampen auf der Carretera Austral




























































































































































































Aus dem Reisetagebuch, Mo, 6.02. bis Sa, 11.02.:

Mo, 6.2.:
Morgens vom Hippieort El Bolson per Bus nach Sueden. In Esquel habe ich fuenf Stunden zu warten bis der Bus nach Chile abfaehrt. Ich entscheide mich fuer den Kauf eines Zeltes fuer umgerechnet
hundert Euro. Bei dem, was vor mir liegt wird es mir sicher gute Dienste leisten. Der Bus bis zum ersten chilenischen Ort hinter der Grenze entpuppt sich als Klapperkiste. Schon hier ist die Strasse nur geschottert. Es wird rau, aber die Landschaft mit Bergen, von Rinderherden bewohnten Weiden und dem azurblauen Fluss Rio Futalau entschaedigt nicht nur. Sie ist der Grund fuer die Strapazen die wohl nun eine Woche lang vor mir liegen.

Am Grenzuebergang durchsucht ein chilenischer Beamter sogar das Innere meiner Brieftasche, koennten ja Aepfel oder Drogen versteckt sein. Ich lerne zwei Backpackerinnen aus Oesterreich kennen. Sie wollen ebenfalls per Anhalter nach Sueden. Ich bin also nicht der einzig Verrueckte. Bei der Ankunft in Futaleufu wuenschen wir uns viel Glueck. Die Zwei wollen in ein Hostel. Ich mein neues Zelt einweihen.

Abends baue ich mein Zelt am Fluss auf einem Gratis Campinggelaende mit Baeumen auf. Fuenf Meter vom Fluss entfernt liege ich nun im Zelt. Der Vollmond laesst das Wasser glitzern und die Sterne geben ihr Bestes mitzuhalten. Morgen zum ersten Mal den Daumen raushalten, die Carretera Austral selbst liegt noch 75 km weiter westlich. Dort muss ich morgen hin. Ich bin aufgeregt. Aber auch bereit. Zum Pletschern des Rio Futalau schlafe ich ein. Das kann was werden...

Di, 7.2.:
Um sieben Uhr wache ich auf. Trotz naechtlicher Kaelte ganz gut ausgeruht. Um halb neun stehe ich an der Schotterstrasse Richtung Westen. Eine Stunde lang brausen die Autos nur vorbei, und die Fahrer geben mir entmutigende Handzeichen, das ich lieber umdrehen solle. Umdrehen ist nicht, in Argentinien war ich ja grad erst.

Mir begegnen zwei Gauchos mit ihrer Rinderherde. Und Autos fahren vorbei. Ich werde schon unruhig als ein Transporter mit Anhaenger, auf dem sechs grosse Kanus liegen, langsam zum Stehen kommt. Drei junge Chilenen sitzen drin. "Fuer 20 km koennen wir dich mitnehmen. Weiter fahren wir nicht." Ich steige natuerlich ein und wir fahren am strahlenden Rio Azur entlang. Schliesslich halten wir, die drei gehen Kanu fahren. Ich bedanke mich und gehe zu Fuss weiter. Etwa zwanzig Minuten, es nieselt wieder. Ein paar Autos rasen grusslos vorbei. Dann haelt ein weisser PickUp...

Der Fahrer, ein Mann mittleren Alters weist zurecht darauf hin, dass das Auto voll sei. Ich frage mich schon warum er dann anhielt als er auf die Ladeflaeche zeigt. Der meint das ernst. Also steige ich auf. Und viel zu schnell rasen wir weiter. So sitze ich also bei Tempo 60 (Tempo 60 auf einer mit Loechern uebersaeten Staub- und Schotterpiste wohlgemerkt) mitten in Nordpatagonien und rase an einer der wildesten Szenerien vorbei, die ich jemals gesehen habe. Berge und ein Fjord tun sich neben uns auf. Netterweise nimmt mich der Mann umsonst bis zur Abzweigung der Carretera Austral nach Sueden mit, nach Santa Lucia. Wo ich realistischer Weise vor zwei Stunden noch mein Tagesziel angepeilt hatte. Und nun bin ich schon mittags hier. Es gibt einen Schutzengel.

Aber hier endet die Gluecksstraehne kurz. Unter einem Wellblechdach, das die lokale Bushaltestelle ueberdacht (welche keinen Sinn ergibt, da keine Busse fahren) stehen sieben Backpacker. Zwei von ihnen, zwei Israelis, warten seit vierzehn Stunden, seit gestern Abend darauf, das ein Auto anhaelt. Aber sie wollen Richtung Norden und ich nach Sueden, vielleicht ist das ja einfacher. Ist es nicht. Fast vier Stunden stehe ich mit wechselnder Begleitung aus Neuseeland, Chile, Frankreich und auch den beiden Maedels aus Oesterreich von gestern unter dem dummen Dach. Ploetzlich schleichen sie durch den Regen auf uns zu, und als ich sie wieder erkenne muss ich lachen. Der Regen wird immer schlimmer. Doch die Oesterreicherinnen zeigen Kampfgeist und hetzen langsamer werdenden Autos hinterher. Bis sie schliesslich Erfolg haben. Das imponiert mir. Um 15.40 renne ich einem langsamer werdenden Jeep hinterher. Und das Fenster oeffnet sich. Ein junges chilenisches Ehepaar sieht mich an. "Wohin solls denn gehen?" "Nach Sueden." "Wir fahren ueber La Junta. Steig ein." Der Kampfgeist hat gesiegt. Mit Paulo und Giselle fahre ich die 90 Kilometer nach Sueden und wir passieren wild reissende azurblaue Fluesse und Rinderherden, die teilweise die Carretera Austral blockieren. Aber am spaeten Nachmittag erreichen wir La Junta.

Da mein Zelt von der Wartezeit am Mittag und dem Wandern am Morgen nass ist, bleibe ich in einem Hostel. Eigentlich ist es ein Familienhaus, aber im ersten Stock gibt es Mehrbettzimmer. Wieder lerne ich drei Israelis kennen. Sie kommen aus dem Sueden und sagen, dass der Abschnitt der Carretera beim Nationalpark Queulat, den ich morgen trampen will, der Schoenste der ganzen Route sei. Muede und abgekaempft gehe ich frueh schlafen. Aber auch zufrieden: ich habe 170 Kilometer hingelegt, ohne einen Peso fuer den Transport zu bezahlen. Aber noch wichtiger: ich tue etwas ausserhalb der Pauschaltouristen Lethargie. Es ist das, was ich gesucht habe: ein Abenteuer.

Mi, 8.2.:
Und es bleibt eines. Nach zwei staerkenden Tassen Kaffee breche ich um kurz vor neun auf. Ich laufe etwa zwei Kilometer und kaum habe ich den Daumen oben nimmt mich Gustavo mit. Hinten auf dem PickUp ein Golden Retriever. Gustavo ist etwa 60 und lebt in La Junta. Er war mal in Colorado und auch in Kalifornien. Seither sei er wenig gereist, sagt er. Nach etwa zehn Kilometern ist Schicht, Gustavo biegt zum Fischen ab. Ich gehe weiter und postiere mich neu. Heute ist ein Sommertag, angenehmes Sonnenwetter und kein Regentropfen. Wenn ich da an gestern denke...

Ich warte und warte aber alle Autos brettern vorbei, obwohl sie teilweise fast leer sind. Dann wandere ich wieder ein Stueck. Und warte wieder. Wandern. Warten. Wandern. Warten. So geht das fast vier Stunden. Als ich schon an Langeweile trotz der Umgebung krepieren will, haelt ein altes chilenisches Ehepaar an. In gemaechlichem Tempo nehmen sie mich mit bis zum Seeort Puyuhuaupi. Dort angekommen statte ich mich erst mal mit reichlich Proviant aus. Brot, Bananen, Saft und Milch. Dann, um kurz nach drei gehe ich den See entlang. An einer Kurve mit tollem Ausblick stelle ich mich wieder bereit. Nach knapp anderthalb Stunden haelt ein weisser Kastenwagen von Toyota. Ein aelterer Mann mit Tochter bitten mich herein. Sie kommen aus Santiago und machen hier zwei Wochen Urlaub. Die Tochter, Ende zwanzig, schwanger - aber ohne Ehering (in Chile ist DAS durchaus bemerkenswert, erzkonservatives Land) fragt wie weit ich moechte. "So weit wie moeglich nach Sueden", sage ich. Was dann folgt, ist mit Worten schwer beschreibbar.

Ohne hinterher einen Peso zu verlangen nehmen sie mich ueber zwei Stunden und fast hundert Kilometer mit. Durch die abwechsungsreichste Landschaft der Carretera Austral. Die Israelis gestern haben nicht geflunkert. Wir fahren am Fjord Queulat vorbei und eine Gruppe Delfine, die vom Pazifik einen Abstecher gemacht haben muss, springt in der Ferne neben uns her. Wir fahren durch Farne, fast wie im Regenwald. Dann azurblaue und sogar gruene Gebirgsfluesse. Reissende Stromschnellen. Bergkuppen. Und dann, als ob das nicht genug waer, Gletscherzungen auf den hoechsten Gipfeln.

Es ist fast zu viel um alles zu erfassen. Nachdem wir das Spektakulaerste hinter uns haben erreichen wir eine Siedlung namens Villa Amengual. Hier bitte ich meine neuen Freunde mich abzusetzen. Es ist halb acht. Hinter der Siedlung liegt neben der Strasse eine eingezaeunte Weide am Wald. Ich steige ueber den Zaun und baue mein Zelt an einem windgeschuetzten Platz auf. Nun ist es bereits elf Uhr und erst jetzt wird es richtig dunkel. Logisch, je weiter ich nach Sueden komme desto kuerzer werden die Naechte. Auf Feuerland sei es von ein Uhr nachts bis vier Uhr morgens dunkel, sonst taghell erzaehlte mir letzte Woche ein Backpacker in Puerto Montt. Ich bin gespannt. Nun kommt der patagonische Sternenhimmel zum Vorschein. Von weitem rauscht ein Gebirgsfluss herueber. Ich habe in drei Fahrten fast 170 Kilometer geschafft. Und neben Iguazu ist die Carretera Austral das Beste, was meine Reise zu bieten hat. Und alles nur, weil ich die schwere Route erleben wollte, eben wegen der Schoenheit und Abgeschiedenheit vom Durchschnittsbackpacker Trip.

Wild. Rau. Wunderschoen. Morgen frueh geht es weiter, per Anhalter. Die einzige Stadt, an der Carretera Austral, Coyhaique mit 40 Tausend Einwohnern, ist noch 138 Kilometer entfernt. Dort will ich es morgen hinschaffen. Und danach noch weiter nach Sueden. Ich hoffe mein Schutzengel bleibt auch morgen bei mir.

Do, 9.2.:
Tja, er bleibt mir erhalten. Hat aber verschlafen. In den fruehen Morgenstunden friere ich mir im Zelt den Hintern ab und wundere mich, warum es SO kalt ist. Mein Schlafsack ist von aussen feucht, aber warum? Es hat nicht geregnet und es regnet auch jetzt nicht. Da sehe ich das eine Zeltseite komplett undicht ist, am Boden. Das auf dem Schlafsack ist Reif. Durch die Kaelte ueberall. Ich stehe um sieben entnervt und unterkuehlt auf. So kann ich das Ding nicht mehr gebrauchen, dort wohin ich fahre wird es noch viel kaelter als hier. Schwere aber einzig richtige Entscheidung: das kaputte Zelt bleibt dort. Schade um die hundert Euro...

Ich gehe frierend ein Stueck durch den morgigen Nebel. An einer Abzweigung bleibe ich stehen. Es sind knapp ueber 130 Km bis nach Coyhaique. Das wird ein langer Tag, geht es mir durch den Kopf. Die ersten vier Autos rasen vorbei. Es ist noch frueh, kaum Verkehr. Aber dann bremst ein Lieferwagen mit holzverkleideter Ladeflaeche ab. Vorne sitzen der Fahrer sowie Frau und Tochter. Kein Platz fuer mich. Aber die Ladeflaeche (nicht ueberdacht) ist leer. Der Fahrer oeffnet die Hintertuer und ich springe auf. Fuer eine halbe Stunde rase ich also auf einem Kleinlaster durch den eiskalten patagonischen Morgen. Aber vor Aufregung pumpt mein Herz so schnell, das ich das Frieren gerne in Kauf nehme.

60 Kilometer und dann der erste Ort. Unser Laster haelt zum Tanken, danach muss er woanders hin. Ich bedanke mich und gehe in eine nebenan geoeffnete Panaderia. Das Brot und der heisse Kaffee tun unglaublich gut nach der Fahrt und der Nacht.

Dann latsche ich ein wenig weiter und halte den Daumen raus. Und zweieinhalb Stunden spaeter bin ich am Ziel des Tages. Um halb eins mittags. Warum? Dank Larissa, einer etwa 30 jaehrigen Chilenin die in Aisen wohnt und mich fast 60 Kilometer mitnimmt. Und wenig spaeter ein irrer junger Mann mit tiefer gelegtem Mustang und chilenischen Balladen in Discolautstaerke, die nicht recht zu den blauen Alufelgen und dem ueber und ueber mit Tattoos verziertem Mann passen wollen. Aber nett ist er, wenn auch wahnsinnig am Steuer. So oft wie er die Nase hochzieht und nervoes mit den Haenden fuchtelt scheint er jene nicht nur zum Einatmen zu benutzen. Mir soll es recht sein, nach zwanzig Kilometern sind wir in Coyhaique. Und ich kann mein Glueck kaum fassen.

Aller guten Dinge sind also Drei. In drei Tagen bin ich auf einer der unbezaehmbarsten Strasse des Kontinents erfolgreich ueber 400 Kilometer nach Sueden getrampt. Ich habe nicht einen Peso fuer den Transport bezahlt. Jeden Tag fanden sich drei Mitfahrgelegenheiten.

Aber ein Blick auf die Landkarte und ein Blick auf die Entfernung zu meinem absoluten Ziel, Ushuaia auf Feuerland, sagen mir ich sollte mein Glueck nicht ueber strapazieren. Es wuerde zu lange dauern noch weiter zu trampen. Also kaufe ich ein Ticket fuer einen Kleinbus ins 130 Km entfernte Puerto Ibanez. Von dort werde ich mit einem Schiff ueber den Lago General Carrera nach Chile Chico an der argentinischen Grenze fahren.

Ich finde ein preiswertes altertuemliches Zimmer in Coyahique. Eine alte Dame, die aussieht wie die toupierte Hexe aus ,Die Hexe und der Zauberer' vermietet im Familienhaus ein paar Zimmer. Eine Katze wohnt hier auch, im Hinterhof gackern Huehner.

Abends sitze ich mit Jean, einem Backpacker aus Paris zusammen. Wir trinken den guten chilenischen Rotwein und sprechen ueber das Leben. Auf franzoesisch, bien sur. Die Dame mache das beste Fruehstueck in ganz Chile, sagt er. Es ist im Preis mit drin. Ich bin gespannt.

Aber vor allem froh, den Trip so schnell und glimpflich gepackt zu haben. Und heute Nacht in einem Bett zu schlafen. Ein Fruehstueck serviert zu bekommen. Und AUSZUSCHLAFEN. Mein Bus faehrt erst nachmittags um vier. Weiter nach Sueden...

Fr, 10.2.:
Ausgeschlafen wache ich auf. Das Fruehstueck ist zwar gut, aber SO toll wie der Franzose sagte dann auch wieder nicht. Den Tag lang spreche ich viel mit der Familie im Haus. Und mit Jean ueber unsere bisherigen Erlebnisse in Chile. Nachmittags mit einem guenstigen Kleinbus nach Puerto Ibanez. Dort startet abends um sieben Uhr die Faehre nach Chile Chico. Am Hafen winkt mir ein blondes Maedel zu. Ich bilde mir schon was aug mein Aussehen ein als ich sie erkenne. Die beiden Oesterreicherinnen steigen auf die gleiche Faehre, zum dritten Mal treffen wir uns aus Zufall wieder.

Die Faehrfahrt bietet noch mal einen grandiosen Blick auf die chilenische Wildnis. Und einen wieder einmal kitschigen Sonnenuntergabg. Abends kommen wir zu dritt noch in einem Zimmer in einer Familienpension unter. Bei einem Bier lerne ich Tatjana und Eva dann besser kennen. Coole Maedels. Zu zweit reisen die Damen aus Innsbruck schon ein zweites Mal durch den Kontinent. Morgen werden wir zu dritt mit einem Bus nach Argentinien fahren. Nach Sueden, in Richtung El Chalten.

Die Carretera Austral ist fuer mich gepackt. Es war eine grandiose Woche. Und das was ich gesucht hatte - ein Abenteuer!





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